Marmor auf Papier. Italienische Antikensammlungen des frühen 18. Jahrhunderts im Spiegel von Richard Tophams Zeichnungssammlung in Eton College
Richard Topham (1671–1730) schuf eine virtuelle Museumslandschaft mit den Mitteln seiner Zeit. Der wohlhabende englische Anwalt und Politiker widmete sich spätestens in den Jahren seines Ruhestands ab 1713 und bis zu seinem Tod mit großer Akribie dem Sammeln von Zeichnungen nach antiken Monumenten in Italien. Vermittelt über Agenten, beauftragte er eine größere Zahl von Künstlern damit, systematisch die Bestände römischer, Florentiner und weiterer italienischer Antikensammlungen grafisch für ihn zu dokumentieren. In weniger als 20 Jahren trug er auf diese Weise einen Bestand von über 2.200 Zeichnungen und Aquarellen zusammen, die er der Bibliothek von Eton College vermachte, wo sie noch heute vollständig erhalten sind. Sie dokumentieren antike Kunstwerke fast aller Gattungen, vor allem Skulptur (Statuen, Büsten, Reliefs), außerdem Wandmalerei und Objekte des Kunsthandwerks (Vasen, Münzen, Gemmen) sowie in geringem Umfang Architektur. Wie Tophams zugehörige Unterlagen belegen, handelt es sich um eine planmäßig angelegte Sammlung, die Vollständigkeit anstrebte und diese in Teilen auch erreichte. Er notierte die Namen der ausführenden Künstler und identifizierte das dargestellte Objekt sowie dessen aktuellen Aufbewahrungsort. Die konzertierten Kampagnen einzelner Zeichner in eng umrissenen Zeiträumen in Rom, Florenz, Venedig und anderen Orten führten dazu, dass einzelne Sammlungen gleichsam einen grafischen Bestandskatalog erhielten. Angesichts der schon damals üblichen Mobilität antiker Kunstwerke auf dem Kunstmarkt und der späteren Auflösung und Zerstreuung ganzer Antikensammlungen kommt der tophamschen Zeichnungssammlung somit eine einzigartige dokumentarische Bedeutung zu. Sein topografischer, d.h. den Sammlungskontext fokussierender Ansatz unterscheidet sich zugleich grundlegend von ähnlichen antiquarischen Großunternehmen, unter denen Cassiano dal Pozzos enzyklopädische Zeichnungssammlung aus dem 17. Jahrhundert der prominenteste und besser erforschte Vorläufer ist. Dass Richard Topham offenbar nie intendierte die Antiken, deren Zeichnungen er sammelte, im Original zu studieren, stellt ein besonderes Kuriosum seiner Sammeltätigkeit dar. Sein Begehren war es, sie im ursprünglichen Wortsinn „on file“ zu haben.
Ein einjähriges (2018), von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung finanzierte Projekt zielte auf eine wissenschaftshistorische Erschließung des tophamschen Zeichnungskonvoluts, dessen bislang unterschätzte Bedeutung innerhalb der Geschichte der antiquarischen Forschung herausgestellt werden sollte. Das Vorhaben wurde von der Eton College Library nachdrücklich begrüßt und im Rahmen einer engen Kooperation tatkräftig unterstützt. Die Abschlussfinanzierung des Projekts hat die Volkswagen Stiftung 2019 übernommen.
Das Projekt konzentrierte sich auf die ca. 1.850 Zeichnungen nach antiker Skulptur und anderen beweglichen Objekten antiker Kunst in italienischen Sammlungen. Diese Zeichnungen wurden vollständig digitalisiert und katalogisiert. Durch die Erfassung in der Forschungsdatenbank des Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance wurden sie erstmals angemessen publiziert.
Eton College Library, Bm. 2, no. 24
Eton College Library, Bm. 9, no. 56